Der flüssige
Stahl ergießt sich goldgelb aus der Kokille in die Gussform. Die
beiden Arbeiter in ihren feuerfesten und hitzeabweisenden Anzügen
dirigieren sie an langen Stangen in die jeweils richtige Richtung.
Eine „mörderische" Hitze umgibt sie. Diese Arbeit wird zwar weit
über dem Durchschnitt bezahlt, aber sie ist auch kräfteraubend.
Nun ist die
Kokille leer. Der Kran hebt sie höher und fährt damit zum Ende der
Halle, wo sie auf einem speziellen Lagerplatz zum Abkühlen abgestellt
wird.
Die beiden Männer
nehmen ihre Helme ab, wischen sich fast wie auf Kommando den Schweiß
von der Stirne und gehen in den Pausenraum.
„Nein danke,
ich rauche nicht mehr."
Erstaunt sieht
Erich Jablonski seinen Kollegen an. „Walter, jetzt willst du mich
aber vernaatzen. Du und nicht mehr rauchen, das wäre genau so, als
wenn der Rhein in Richtung Schweiz fließen würde. Nun komm, nimm
schon."
„Nee, Werner,
ich will nicht. Ich habe aufgehört mit der Qualmerei."
„Das fasse
ich nicht. Seit wann denn?"
„Jetzt bin
ich in der vierten Woche."
„So lange hältst
du schon durch, wie hast du das denn geschafft?"
„Ich habe gesagt:
Ich will nicht mehr rauchen. Dann habe ich die restlichen Zigaretten
weggeworfen und das war's dann."
„Hör doch auf,
mich zu verkohlen. Bei der Menge, die du geraucht hast, hört man
doch nicht von einer auf die andere Minute auf. Da steckt doch mehr
dahinter. Jetzt war ich gerade mal drei Wochen krank und habe dich
alleine gelassen und schon hast du Geheimnisse vor mir", grient
Werner.
„Da gibt es
eigentlich gar kein Geheimnis. Vor ein paar Wochen kamen Mormonenmissionare
zu uns nach Hause. Wir haben uns über Gott und den Sinn unseres
Lebens unterhalten. An einem Tag..."
Erich Jablonski
unterbricht seinen Kollegen: „Was heißt an einem Tag, sind die öfter
bei euch gewesen?"
„Ja natürlich.
Ich fand das sehr interessant, was die zu sagen hatten. Auf jeden
Fall haben die an einem Tag davon gesprochen, dass Gott wünscht,
dass wir unseren Körper frei von Schadstoffen halten sollen. Den
Gedanken fand ich sehr gut. Deshalb habe ich aufgehört zu rauchen.
Alkohol, Bohnenkaffee und schwarzen Tee trinke ich auch nicht mehr."
Werner tippt
sich gegen die Stirne: „Jetzt hat es dich wohl total erwischt. Du
bist doch durchgeknallt. Seit wann interessiert es dich, ob es einen
Gott gibt und erst Recht, was er dir sagen will. Nee, mein Freund",
er tippt wieder an die Stirne. „Bei aller Freundschaft. Wir kennen
uns jetzt schon zwanzig Jahre, aber jetzt kann ich nur sagen, dass
du spinnst. Was sagt eigentlich Monika dazu?"
„Sie findet
das auch gut. Wir freuen uns immer darauf, dass wir uns mit den
Missionaren unterhalten können. Das sind prima Jungens und vor allen
Dinge ist das, was sie lehren nachvollziehbar, nicht so ein geheimnisvolles
Zeug wie in anderen Religionen. Wir finden die Lehren gut."
„Du willst
mir also ernsthaft sagen, dass du nicht mehr trinkst? Erinnerst
du dich nicht mehr, wie oft wir zusammen einen gehoben haben und
wie oft wir toffte Abende zusammen verbracht haben? Wie willst du
das denn jetzt machen, so ohne Alkohol? Sei mal ganz ehrlich, du
veräppelst mich doch?"
„Nein, mein
Lieber, ich will dich nicht auf den Arm nehmen. Wir sind wirklich
froh, dass wir die Religion gefunden haben. Besser wäre gesagt,
dass die Missionare uns gefunden haben."
„Pass mal auf,
du Schlaumeier. Wenn du jetzt so einen guten Draht zur Religion
hast, dann frag doch mal, wieso Gott Kriege zulässt und warum es
so viel Elend auf der Erde gibt. Du musst doch einsehen, dass es
keinen Gott geben kann, denn wenn es einen gäbe, dann würde er doch
nicht zulassen, dass sich seine Kinder gegenseitig umbringen, oder?"
„Darüber haben
wir uns auch schon unterhalten. Das hängt mit der Entscheidungsfreiheit
zusammen. Eines der höchsten Gesetze ist das Gesetz der Entscheidungsfreiheit.
Wenn Gott eingreifen würde, dann würde er dem Menschen die Entscheidungsfreiheit
nehmen und das kann er nicht, weil er dann gegen eines seiner Gesetze
verstoßen würde."
„Das ist doch
doof. Wenn die Kirchen behaupten, dass Gott allmächtig ist, dann
müsste er das doch können?"
„Natürlich
könnte er das. Aber, wenn er gegen ein Gesetz verstoßen würde, dann
würde er aufhören, Gott zu sein."
„Das ist mir
zu hoch."
„Wenn du Lust
hast, dann kannst du ja heute Abend zu uns kommen. Die Missionare
sind wieder da. Wir können die ja mal fragen, was die dazu sagen."
„Nee mein Lieber,
das lassen wir mal lieber. Mit Kirche und Religion will ich nichts
zu tun haben. Werde du mal schön alleine fromm, ich gehe lieber
mit den Kollegen einen schlucken. Nee, mit Religion bleib mir mal
vom Leibe." Mit den Worten dreht sich Erich Jablonski um und lässt
Walter Krause stehen. Dieser sieht ihm erstaunt nach. Bis vorhin
hatte er geglaubt, dass Erich und er sich sehr gut verstehen und
über alles reden könnten.
SEINE
HEILIGEN
Roman
(Seite
45-48)
|